Geschichte der GuGGenmusik

von Dominik Wunderlin aus ‚Schweizer Volkskunde‘ Heft 6/1985

Die Entwicklung einer fasnächtlichen Besonderheit

Umzüge mit Lärmgeräten sind im Volksbrauch eine geradezu weltumgreifende Erscheinung. In unserem Kulturkreis kennen wir Lärmzüge vornehmlich bei Winter- und Frühlingsbräuchen sowie als Mittel der knabenschaftlichen Volksjustiz. Unter Begriffen wie „Tschättermusik“, „Katzenmusik“ und „Charivari“ sind diese improvisierten „Musikgruppen“ in unserem Lande seit langem bekannt. Die älteren Begriffe werden in unserem Jahrhundert grösstenteils abgelöst durch das Wort „Guggenmusik“ bei gleichzeitiger Veränderung des Klangkörpers. Der neue Begriff und mit ihm grösstenteils auch die Sache scheint sich von Basel aus verbreitet zu haben. In der Stadt Basel existierte vor dem Auftauchen des Wortes „Guggenmusik“ offensichtlich kein einheitlicher Begriff für eine kakophonisch spielende Musikgruppe. Für zwei benachbarte Baselbieter Gemeinden ist die „Katzenmusik“ belegt, wie wir später sehen werden. So wird 1904 aus Muttenz berichtet: „Von dem hässlichen ‚Morgenstreich‘ mit seinem katzenmusikartigen Lärmen war diesmal nichts zu merken“. Eine nächtliche Katzenmusik veranstalteten 1888 etwa dreissig Allschwiler Altkatholiken, nachdem ihr Sieg bei den Gemeindewahlen festgestanden hatte: Sie zogen mit Pechfackeln, Trommeln, Pfannendeckeln und Kuhglocken lärmend vor jedes römisch-katholische Haus. Es sei nicht verschwiegen, dass es in der Nacht nach dem Herrenfastnachtssonntag geschah: Die Instrumente hatte man ja ohnehin in Griffnähe!

Streicher und Bläser

Obwohl dies viele „echte“ Basler Fasnächtler nur mit Mühe glauben wollen, gehören andere Instrumente als die Trommel und das auch erst im letzten Jahrhundert an der Fasnacht belegbare Piccolo seit langem zur Basler Fasnacht. Im Basler Kupferstichkabinett wird eine getuschte Federzeichnung von Niklaus von Riedt aus dem Jahre 1589 aufbewahrt, die einen Fasnachtsumzug mit einem Lautenspieler und einem Posaunisten wiedergibt. Wohl noch vor 1800 wurde eine im Historischen Museum Basel befindliche lavierte Tuschzeichnung angefertigt: Sie zeigt auf dem Münsterplatz einen Fasnachtsumzug, auf die Revolutionswirren von 1798 anspielend, und lässt hinter den Tambouren eine Musikantengruppe mit Instrumenten wie Fagott, Horn, Trompete, Violine und Pauke erkennen. Von einem politischen Fasnachtsulk auf Kosten des Basler Staatsmannes Peter Ochs hören wir 1803: „Auf dem Petersplatz begrub man unter Waldhornfanfaren einen Ochsenkopf samt grün-rot-gelben Kokarden und deutete damit symbolisch das Ende des helvetischen Einheitsstaates an“. Dem Reiseschriftsteller Gottlob Heinrich Heinse (1766-1812) verdanken wir in seiner ausführlichen Schilderung des Fasnachtsgeschehens im Jahre1809 die Mitteilung, dass der Zug von einem „Chor Berghoboistens eröffnet wurde und dass ferner berittene Trompeter dabei waren“. Wenigstens von Alphörnern ist die Rede bei einem folkloristischen „Älplerzug“ am Fasnachtsmontag 1812. Die sich in nichts von damaligen historischen Festumzügen unterscheidenden Fasnachtszüge des 19. Jahrhunderts haben selbstverständlich immer auch Musiken dabei. Einer der frühesten Züge ist dargestellt auf einer kolorierten Radierung von 1820 (Historisches Museum Basel), der dem Thema „Brautzug des Grafen Otto von Thierstein und der Katharina von Klingen anno 1376“ gewidmet war. Das Bild zeigt unter anderem berittene Fanfarenbläser und eine Musik mit Bläsern und Streichern auf einem Wagen. Eher fasnächtlich im heutigen Sinn wirkt auf einer Lithographie von 1845 die kleine Musikgruppe mit Pauke, Becken, Horn und Schalmei, welche einer Tambourengruppe folgt. Richtige Blechmusiken sind u.a. bezeugt an den Fasnachtszügen 1835,1841 und 1853, die aber vermutlich seriös spielten. Wenn wir der bekannten Morgenstreich-Darstellung von Hieronymus Hess für das Jahr 1843 Glauben schenken dürfen, kamen damals Blechinstrumente, wohl Fanfaren, zum Ertönen. Aus einem „Karneval-Bericht“ von 1852 erfahren wir Details über „Gruppen, die den Morgenstreich zusammentrommelten, pfiffen, trompeteten und schrieen“. Unter anderem ist die Rede von einer „Janitscharen-Musik, gekleidet in Schlafrock und Zipfelkappe“ mit Trompeten und Pauken, und von „Schnurrantens mit Piccolo und Bombardon, Kornet und Pauke usw“. Dass gerade Trompeten an der Fasnacht durchaus üblich waren, zeigen auch zeitgenössische Inserate („Instrumente für Fastnacht“). Womit an der Basler Fasnacht Lärm erzeugt wurde, zeigt die ab 1869 in der Presse publizierte „Polizeiliche Bekanntmachung betreffend die Fastnacht“, wo es unter Artikel 1 heisst: „Montags und Mittwochs darf vor 4 Uhr morgens nicht getrommelt und in keiner Weise gelärmt werden. Ebenso ist Lärm mit Hörnern, Klapperinstrumenten, Geschellen u. dgl. untersagts“. Um 1870 lesen wir in den Fasnachtsberichten wiederholt vom nachmittäglichen Mitwirken einer „humoristischen Zukunftsmusik, die mit ihren Produktionen die Aufmerksamkeit auf sich zog“. Wie Inserate von Bierwirtschaften der ganzen Regio zeigen, handelte es sich dabei um eine Musikgruppe, die auch ausserhalb der Fasnacht u.a. mit „komischen Couplets“ für sonntagnachmittägliche, „komisch-musikalische Unterhaltung“ besorgt war. Ob wir uns darunter tatsächlich einen Vorläufer heutiger Guggenmusiken vorstellen dürfen, kann ich nicht entscheiden. Solange nichts näheres zur Instrumentierung und zum Stil bekannt wird, gilt dasselbe auch für die vor 1872 existierende „Kontingentenmusik“, etwa auch „Waschweibermusik“ genannt, eine „musikpflegende Fastnachts-Clique“, deren Mitglieder zum Teil an der Gründung des Basler Musikvereins beteiligt waren.

Die ersten Guggemusiken kommen

Für die Zeit um die Jahrhundertwende darf die Existenz von Guggenmusiken als sicher angenommen werden, wenn wir beispielsweise 1902 vernehmen, dass die „Wasserwerkler-Musik“ am Mittwochnachmittag „grosse Heiterkeit“ erzeugte und im Jahr danach eine „Tiroler Damenkapelle“ und weitere „kostümierte Musikabteilungen fleissig ihre lustigen Weisen ertönen liessen“. Das Wort „Guggenmusik“ begegnet uns das erste Mal 1906 im „Verzeichnis der Fastnachtszüge“ neben zehn anderen Musiken: Eine „Guggenmusik“ spielte als Sujet die Deutschlandreise der „verkrachten“ Stadtmusik Concordia aus. Ob sich hinter der Gruppenbezeichnung „Krachauers“ auf derselben Liste eine weitere Guggenmusik versteckt, konnten wir nicht herausfinden.

Zum Mittwoch-Morgenstreich wurde übrigens in der Presse gemeldet: „An neuen Zügen traten, so viel wir bemerken konnten, eine originelle Katzenmusik auf und ein nicht minder origineller Mandolinenklub“. 1907 sah der Berichterstatter am Morgenstreich „einen Trupp Bremer Stadtmusikanten, die auf ihren Instrumenten ein Geräusch erzeugten, das ‚Stein erweichen, Menschen rasend machen kann’…“. Vom Montag-nachmittag wird dann gemeldet: „Von den einzelnen Wagen, welche durch die Strassen zogen, riefen besondere Heiterkeit hervor die ‚Saharet‘ der Guggenmusik“; ihr Fasnachtszettel hat sich erhalten. Beim Umzug vom Mittwochnachmittag ist ausserdem von einer „Trost-Clique“ die Rede, einem Musikkorps in Trauerkleidung, welche das Fernbleiben der Basler Musikvereine ausspielte, die wegen der offensichtlich nicht übergrossen Subvention nicht mitzumachen gewillt waren. Die Clique spielte den Trauermarsch von Chopin „grotesk“.

Am Morgenstreich 1908 „lässt eine Blechmusik ihre zum Himmel schreienden Weisen erschallen und kaum fünf Schritte weiter lässt es einem die richtige ‚Tschinnerättemusik‘ durch Mark und Bein fahren“. Zwischen 1911 und 1914 nahm regelmässig die „Alt-Guggenmusik Horburg“ an den vom Comite (gegr. 1910) organisierten und subventionierten Umzügen teil. Diese Guggenmusik setzte sich möglicherweise aus Mitgliedern des Musikvereins Horburg (Industriequartier in Kleinbasel) zusammen. Für 1913 entnehmen wir dem offiziellen Führer des Fasnachts-Comites, dass auch eine weitere Guggenmusik mit dem Sujet „Waggismusik“ gemeldet war. An die Beteiligung von Guggenmusiken am Morgenstreich von 1914, dem letzten für mehrere Jahre, kann sich ein alter Fasnächtler noch gut erinnern: „D Melody hesch miesse verroote“.

Das Wort „Guggenmusik“

Der Begriff taucht erstmals 1906 auf. Er scheint damals sofort verstanden worden zu sein, denn niemand stellte die Frage, was denn eine Guggenmusik wirklich sei und – vor allem – was eine „Gugge“ mit der Musik zu tun habe. In Basel und im benachbarten Südbaden versteht man nämlich darunter einen „Briefsack“, eine Papiertüte. Sie hatte früher meist eine konische Form und erinnert an ein Blashorns. Haben die ersten Guggenmusikanten in Papiertüten geblasen? Der Journalist Hans Schneider, in der deutschen Nachbarschaft von Basel aufgewachsen, meinte in einer Kolumne, dass das Wort daher komme, „wilme als Chinder gärn in Gugge blose het“. Dass man damit einen Lärmerzeugen kann, zeigte vor einigen Jahren die „46er Guggemuusig“ als Gag auf ihrem Dienstagszug. Ist wegen dieser Art von Instrumenten oft auch die Rede von „improvisierten Musiken“? Dass Guggenmusikanten als Geräuscherzeuger oft die unglaublichsten Dinge verwenden, dürfte bekannt sein. Merkwürdige Geräte muss auch jene Musik 1932 verwendet haben, von der es heisst, man habe „mindestens eine Hupe deutlich“ herausgehört. Während am Morgenstreich 1938 Guggenmusiken gesehen wurden, die „nicht nur mit Kartoninstrumenten“ bestückt waren, lesen wir 1953 in einer Reportage: „Wenn man d’Guggemuusig Pumperniggel aufmerksam betrachtet, so ist man über die ungewöhnliche Instrumentierung erstaunt … Blech, nichts als Blech, sogar verbogenes“! Es sei auch erwähnt, dass man den Diminutiv von „Gugge“, also „Güggli“, in Liestal für ein schlecht tönendes Kindertrompetchen kennt, wie man sie z.B. auf dem Markt kaufen kann. Als „Güggi“ wird im Baselbiet ausserdem ein „Schreihals, Lärmer; schlechter Trompeter“ bezeichnet. In einer anderen Richtung zielt die Namendeutung von Hans Dürst, der eine einstige Maskierung der Musik mit bemalten Papiertüten vermutete. Eine Herleitung von dieser Vermummungsform, die bei der Kinderfasnacht noch heute lebendig ist, wäre durchaus denkbar, etwa im Falle, dass die erste Guggenmusik so aufgetreten ist und dann den Namen, aber nicht die Sache beibehalten hat. Persönlich neige ich jedoch zur Auffassung, dass die Instrumentierung der Musik zu ihrem Namen verholfen hat.

Trommler und Pfeifer als Guggenmusiker

Es wurde bereits erwähnt, dass die zwei prominenten Guggenmusiken „Jeisy Migger-Guggemuusig“ und „46er Guggemuusig“ von Cliquenfasnächtlern gegründet wurden, die am Dienstag auf eine andere Art Fasnacht machen wollten. Ähnliches ist auch von anderen Formationen zusagen. So zirkulierte am „stillen Dienstag“ ab etwa 1935 ein Zug mit Trommeln, Pfeifen, Trompeten und Blechkesseln durch die Altstadt, zusammengesetzt aus Mitgliedern der renommierten „Basler Mittwoch-Gesellschaft“, und 1938 und 1939 zogen Mitglieder der Olympia als Guggenmusik durch die stillen Gassen. Zwei Gründe, wie ein guter Fasnächtler plötzlich Guggenmusiker werden kann, führt Robert B. Christ (Fridolin) in einem Zeitungsartikel 1949 an: Zum einen sei die Stadt zu gross geworden, um noch intrigieren zu können, und zum andern sei mancher „nur noch mit drei Vierteln seines Fasnachtsherzens bei der Clique, wo ihm Sujet, Kostüm, Laune, Märsche und Marschroute ordnend vorgeschrieben sind“, doch „die Fasnacht will heraus, und sie will spielen“. Zwei der insgesamt 13 Guggenmusiken, die 1967 die IG-Gugge bildeten, waren durch Cliquen-Angehörige gegründet worden. Je eine weitere Guggenmusik wurde ins Leben gerufen durch Stammgäste einer Wirtschaft, durch Schulkollegen und durch Quartierkollegen, während vier anderen Guggenmusiken von Sportvereinen resp. einer Pfadfinderabteilung gegründet wurden. Einmal werden auch „einige handfeste Glaibasler Fasnächtler“ genannt. Zwei Musiken entstanden durch Abspaltung, und eine setzte sich schliesslich aus Leuten zusammen, die vor allem auf dem Inseratenweg gesucht worden waren. Von diesen 13 Guggenmusiken dürfen zwei auf eine Entstehung vor dem Zweiten Weltkrieg zurückblicken: „Negro-Rhygass“ (1927, neu gegr. 1948 und 1958; immer gleicher Initiant) und „Orginal-Chnulleri“ (1936). Die Entstehungsgeschichten dieser IG-Guggenmusiken zeigen ungefähr alle klassischen Fälle. Bezüglich der Integration von Zuzügern spielen die Guggenmusiken keine unwesentliche Rolle. Der Beitritt zu einer Guggenmusik ermöglicht ihnen, sofern sie nicht Trommel und Piccolo spielen können, aktiv an der Fasnacht teilzunehmen. Wohl eher als bei Cliquen dürfen auch beide Geschlechter in der gleichen Musik mitmachen und den „Plausch“ haben.